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Intelligentes Energiesystem

5G-Brillen visualisieren das Stromnetz von Saarlouis

11.03.2024
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Energie- und Wärmewende stellen Netzbetreiber vor Herausforderungen. In Saarlouis sollen Technikerinnen und Techniker künftig virtuell unter die Erdoberfläche schauen – mit 5G-vernetzten Brillen.

In einer Seitenstraße der Saarlouiser Innenstadt erregt ein Mann in neongelber Arbeitsjacke die Aufmerksamkeit der Passantinnen und Passanten. Normalerweise hasten sie hier vorbei an einer unauffälligen Trafostation – einem kleinen Gebäude mit beigefarbenen Stahltüren und Lüftungsschlitzen. Doch an diesem Tag steht Michael Schwarz vor der Trafostation und trägt eine futuristisch anmutende Brille.

Seine Hände bewegen sich durch die Luft, als wolle er an einem unsichtbaren Faden ziehen. Dann scheint er mit seinem Finger Punkte in die Umgebung zu zeichnen. Punkt, Punkt, noch ein Punkt. Schwarz wirkt unzufrieden mit dem Ergebnis. „Gar nicht so einfach“, murmelt er. „Aber das ist wohl Übungssache.“

Elektroingenieur Michael Schwarz testet die Anwendung. Sie lässt sich per Sprachbefehl und Gesten steuern.

Was Michael Schwarz hier übt, ist der Umgang mit einem neuen Assistenzsystem für die Mitarbeitenden der Stadtwerke Saarlouis. Durch die Mixed-Reality-Brille sieht er seine Umgebung und virtuell darauf projiziert ein 3D-Bild aller Stromleitungen, die von der Trafostation zu den Haushalten und Geschäften der Innenstadt führen. Bei der Störungsbehebung lassen sich so schnell und einfach relevante Informationen abrufen. Denn die Visualisierung beinhaltet nicht nur die geografische Position der Kabel, sondern auch Echtzeitdaten über ihre Auslastung.

Indem er eine der virtuellen Leitungen anklickt, kann sich Michael Schwarz alle relevanten Informationen anzeigen lassen: Wie lang ist das Kabel und wie dick? Wann wurde es verbaut? Von wo bis wo führt es und welche Strombelastung trägt es?

Energieversorgung in Deutschland: Verbraucher werden zu Produzenten

Warum diese Informationen so wichtig sind, erläutert Schwarz' Kollege Christian Braun. Als Mitarbeiter der Abteilung Innovationsmanagement koordiniert er das Projekt mit den Mixed-Reality-Brillen. Das Energieversorgungssystem in Deutschland habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert, sagt Braun: „Früher fand der Energiefluss immer in eine Richtung statt, nämlich von der höchsten zur niedersten Spannungsebene. Große und mittlere Kraftwerke haben Industrie, Gewerbe und Privathaushalte mit Strom versorgt. Das hat sich heute gewandelt.“

Grund ist der zunehmende Ausbau von Windrädern und Photovoltaikanlagen, die auf unterschiedlichen Spannungsebenen in das System einspeisen. Ob der Landwirt, der eine Windkraftanlage auf sein Grundstück baut, oder die Familie, die Solarpaneele auf ihrem Dach installiert: Immer mehr Betriebe und Haushalte agieren nicht mehr als reine Verbraucher, sondern auch als Produzenten von Strom. „So ist ein System entstanden, in dem der Energiefluss in beide Richtungen auftritt“, sagt Braun.

Was aus klimapolitischer Sicht wünschenswert ist, stellt Netzbetreiber wie die Saarlouiser Stadtwerke vor Herausforderungen. Harri Oliveras, der mit Christian Braun im Innovationsteam arbeitet, erklärt weshalb: „Verbraucher lassen die Spannung sinken, das ließ sich in der Vergangenheit ohne zur Verfügung stehendes Monitoring gut managen.“ Will heißen: Wie viel Strom zu welchem Zeitpunkt an Privathaushalte und Kleingewerbe floss, wurde nicht erhoben.

Neue Messtechnik gibt Einblicke in die Netzauslastung

„Die Einspeisung von Strom hingegen erhöht die Spannung“, betont Oliveras. „Deshalb sind wir nun gefordert, die Belastung der Netze im Vorfeld zu berechnen und bestenfalls live zu steuern.“ Dass der Strombedarf in Zeiten von Elektroautos und Wärmepumpen sprunghaft ansteige, erschwere die Berechnungen zusätzlich.

Die Stadtwerke Saarlouis haben auf die neuen Anforderungen reagiert. Bereits 70 Prozent der Ortsnetzstationen im Stadtgebiet seien in der Mittelspannung mit moderner Messtechnik ausgestattet – sowie auch die ersten Versorgungsleitungen in der Niederspannung, sagt Oliveras. Eine davon ist die Station nahe der Kirche. „Mit den neuen Geräten messen wir den Strom, der durch die Kabel zu den einzelnen Straßen und Gebäuden fließt.“ Die Werte werden in Echtzeit an die Datenbank der Stadtwerke übermittelt und ermöglichen eine realistische Bewertung der Netzauslastung.

Die Mixed-Reality-Brille visualisiert die Stromleitungen, die von der Trafostation zu den Haushalten und Geschäften der Innenstadt führen.

Da die Abteilung für Innovationsmanagement bereits in einem anderen Projekt mit Mixed-Reality-Brillen arbeitete, kam man schnell auf die Idee, die neu erhobenen Daten nicht nur auszuwerten, sondern auch direkt vor Ort zu visualisieren.

5G ermöglicht Übertragung und Visualisierung in Echtzeit

Softwareingenieur Peter Poller vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat die Anwendung programmiert: „Die 3D-Darstellung der Kabel basiert auf einem digitalen Geoinformationssystem. Wir verfügen also über eine Unmenge an Datenpunkten, die uns Auskunft darüber geben, wo und wie die Stromleitungen in der Erde verlegt sind.“

Hinzu kommen die Messwerte aus den Trafostationen, die in Echtzeit in die Visualisierung einfließen. Damit die Brille die vielen Daten jederzeit vom Server abrufen kann, braucht es eine gute Mobilfunkverbindung. „Zum Glück können wir hierfür auf das örtliche 5G-Netz zurückgreifen“, sagt Poller. Den Nutzen von 5G sieht er nicht nur in der Übertragung großer Datenmengen, sondern auch in der niedrigen Latenz, also der Reaktionszeit. „Die Mitarbeitenden der Stadtwerke brauchen die Informationen schließlich in Echtzeit. Gerade im Störungsfall ist es wichtig, schnell reagieren zu können.“

Datenerhebung und -visualisierung

Harri Oliveras zeigt, wo gemessen wird, wie viel Strom in das Niederspannungsnetz fließt. Die Messwerte werden ...
... in diesem Gerät aggregiert, in Echtzeit an eine Datenbank der Stadtwerke übertragen und schließlich ...
... in der Mixed-Reality-Brille visualisiert.

Eine weitere Ausbaustufe könnte die Anbindung der Brille an das 5G-Netz noch wichtiger machen. Die Idee: Kommt ein Techniker vor Ort nicht weiter, kann er über die Anwendung eine Kollegin oder einen Kollegen hinzuziehen. Remote Assistance (Fernwartung) nennt sich das Prinzip, das in der sogenannten Industrie 4.0 bereits häufig zum Einsatz kommt. Eine stabile Internetverbindung ist hierfür unabdingbar.

Arbeitserleichterung für Servicepersonal der Stadtwerke

Die Fernwartung ist eine von vielen Ideen, mit denen die Projektbeteiligten das System noch besser machen wollen. Perspektivisch lässt sich die Anwendung außerdem auf die Gas- und Wasserversorgung übertragen.

Noch ist die Mixed-Reality-Brille nicht im regulären Einsatz. Wenn es so weit ist, könnte sie den Arbeitsalltag der Technikerinnen und Techniker deutlich erleichtern. „Durch die Visualisierung der Kabel wird das unterirdische Netz viel greifbarer“, sagt Michael Schwarz nach der ersten Testnutzung. „Außerdem ist es wirklich praktisch, dass man sich dann nicht mehr durch Pläne auf Papier oder dem Smartphone wälzen muss.“

An den Anblick von Menschen mit neongelben Jacken und schwarzen Brillen wird man sich in Saarlouis wohl bald gewöhnen müssen.

5G-Anwendungsfälle für Saarlouis

Ab November 2021 hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr das Projekt „5G-SLS“ gefördert. Es ist Teil des 5G-Innovationswettbewerbs. Unter dem Leitgedanken „5G-Services für die Kreisstadt Saarlouis“ werden Anwendungsfälle konzipiert, umgesetzt und getestet, die auf dem neuen Mobilfunkstandard basieren.

Mit den Stadtwerken Saarlouis, der Kreisstadt Saarlouis, dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) bringen vier verschiedene Partner ihr Know-how und ihre Erfahrungen ein. Das Forschungsprojekt gliedert sich in drei Teilbereiche:

  • das hier vorgestellte Energieprojekt,

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