Vier Stunden bleiben Ärztinnen und Ärzten – dann muss ein Spenderherz im neuen Körper schlagen. Doch Entnahme und Implantation finden meist weit voneinander entfernt statt. 5G-Mobilfunk hebt die Kommunikation zwischen OP-Teams zukünftig auf ein neues Niveau.
Roman Bibo blickt konzentriert auf das frei liegende Herz. Vor ihm liegt eine Frau mit offenem Brustkorb, Bibo greift hinein und nimmt das Herz in seine rechte Hand. „Jetzt sehe ich, wo ich schneiden soll“, sagt er und deutet eine Bewegung mit einem Skalpell an.
Die Szene aus dem Universitätsklinikum Düsseldorf wirkt sehr real, ist aber simuliert. Roman Bibo steht nicht in einem OP-Saal, sondern in einem Patientenzimmer. Er ist tatsächlich ein Klinikmitarbeiter, aber kein Herzchirurg. Und die Patientin ist keine Organspenderin, sondern lediglich eine Puppe. Bibo ist Elektrotechniker und wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er arbeitet in einer Projektgruppe, die mithilfe von 5G-Mobilfunk die Arbeitsabläufe bei Organtransplantationen revolutionieren will. Um so nah wie möglich an der Realität zu arbeiten, simuliert das Team solche Operationen.
Seit vielen Jahren funktionieren Herztransplantationen ähnlich: Ein schwerkranker Mensch wartet auf das lebenswichtige Organ. Irgendwo – oft viele hundert Kilometer entfernt – verstirbt ein Spender oder eine Spenderin. Ein Entnahme-Team macht sich per Auto oder Hubschrauber auf den Weg. Parallel bereitet ein zweites Team den Empfänger für die Implantation vor. Die Kommunikation zwischen beiden Teams beschränkt sich auf Telefonate, sagt Bibo: „Der Assistenzarzt steht im OP und hält das Handy im Lautsprechermodus, drum herum arbeiten zehn Personen, und Geräte piepsen.“
Informatiker, Ärzte und Techniker erfinden die Transplantation neu
Das geht besser – und mit digitalen Hilfsmitteln vor allem sicherer und effizienter. Im Digital Health Lab der Uniklinik Düsseldorf, geleitet vom Computerexperten Dr. Falko Schmid und dem Oberarzt Dr. Hug Aubin, begann die Entwicklung. Bis eine echte Herztransplantation mithilfe von 5G stattfindet, wird es noch mehrere Jahre dauern, doch die Zukunft der Herztransplantation ist schon greifbar im Patientenzimmer mit der Puppe.
Roman Bibo trägt ein etwas seltsam anmutendes Gestell auf dem Kopf: Es ist eine kompakte, kabellose und erstaunlich leichte Augmented-Reality-Brille. Augmented Reality („erweiterte Realität“) meint eine Mischung aus physischer und digitaler Welt. Roman Bibo sieht durch sie hindurch wie durch eine normale Brille, doch zusätzlich sieht er auch noch digitale Elemente in seinem Sichtfeld. Sie werden auf die Brillengläser direkt in das Sichtfeld projiziert.
Diese digitalen Elemente fügt Bastian Dewitz live hinzu. Der Informatik-Doktorand steht in diesem Test im selben Raum und simuliert den Chirurgen, der das Spenderherz in Empfang nehmen und implantieren wird. Dewitz trägt ebenfalls eine Brille, jedoch eine Virtual-Reality-Brille, die mit einem Kontrollgerät in seiner Hand verbunden ist. Virtual Reality („virtuelle Realität“) bedeutet, dass Dewitz nichts von seiner direkten Umgebung sieht, sondern vollständig virtuelle Bilder vor Augen hat.
Software macht Livevideo aus dem OP zu einem Livebild in 3D
Dewitz blickt auf ein dreidimensionales Bild von der Entnahme des Herzens, das sein Kollege Roman Bibo in diesem Moment mit seiner Brille filmt. Eine Software verarbeitet 30 Bilder pro Sekunde live zu einem 3D-Modell. Auf diese Weise ist Bastian Dewitz live bei der Operation dabei, er sieht exakt, was Roman Bibo in dieser Sekunde vor sich sieht. So kann der implantierende Arzt – dargestellt von Bastian Dewitz – die Entnahme künftig in Echtzeit digital begleiten und lernt das Herz schon zwei, drei Stunden vor dessen Ankunft in der Klinik kennen. Fachleute sollen anhand der virtuellen Bilder schon frühzeitig erkennen, wie gut das neue Herz zum Empfänger oder zur Empfängerin passt und wo bei der Implantation Probleme auftreten können. Die gesamte Übertragung von Bildern und Daten soll drahtlos über 5G laufen – nicht nur im Test, sondern auch später in diversen Kliniken.
Dewitz war selbst schon bei einer Herztransplantation dabei, um die Abläufe zu studieren. Mit einem Team aus Düsseldorf ging es über Autobahnen nach Antwerpen in Belgien – und wieder zurück mit einem frisch entnommenen, gekühlten Herzen an Bord. „Es ist bei Transplantationen kaum möglich, etwas vorzubereiten“, sagt Dewitz. Das Entnahme-Team greift vorgepackte Taschen und macht sich auf den Weg. Vor Ort geht es direkt in den OP. „Da bleibt keine Zeit, etwas einzurichten. Die Augmented-Reality-Brille muss in Zukunft sofort funktionieren, und auch die 5G-Verbindung muss stehen.“
Datenmenge, Latenz, Leistung: 5G bringt viele Vorteile
5G-Mobilfunk kann bei dieser Anwendung gleich mehrere Stärken ausspielen:
- Übertragung großer Datenmengen: Zwischen den beiden Brillen fließen viele Gigabyte an Bildern, Sprachdaten und Steuerbefehlen hin und her.
- Geringe Latenz: Alle Beteiligten können ohne Bildverzögerungen miteinander arbeiten, als würden sie nebeneinander stehen.
- Stabilität: 5G-Netze sind auf viele Nutzende zur selben Zeit ausgelegt – und bringen dennoch Höchstleistung. Über Network-Slicing ist es möglich, bestimmten Geräten wie der Brille eine hohe Datenrate zu garantieren, auch wenn sich viele andere Geräte in der Funkzelle befinden.
- Universelle Anwendung: Sofern ein Mobilfunknetz im OP-Saal verfügbar ist, kann die Anwendung der Brille starten – es ist kein Einloggen in ein neues WLAN notwendig.
Die Drahtlos-Technologie ist nicht nur praktisch, sondern notwendig: Kabel sind Stolperfallen und müssten nach jedem Einsatz aufwendig steril gereinigt werden. Eine über 5G-Mobilfunk verbundene Brille – so lautet der Plan der Düsseldorfer Teams – wäre sofort international einsetzbar. So wie das Smartphone, das man nach der Landung am Urlaubsort einschaltet, um im dortigen Netz online zu gehen.
Technologie erleichtert Kommunikation und reduziert Komplexität
„Der Arzt setzt sich die Brille auf, schaltet sie an und bleibt vollständig in seiner Routine“, erläutert Dewitz. Ein Telefonanruf beim Kollegen in Düsseldorf entfällt, denn beide können über ihre Brillen auch miteinander sprechen. Zusätzlich kann der Düsseldorfer Kollege dem explantierenden Arzt assistieren: Er kann zum Beispiel Markierungen in das 3D-Modell einzeichnen, die in Echtzeit in der Augmented-Reality-Brille sichtbar werden. Das macht Bastian Dewitz auch bei dem Test – und Roman Bibo sieht, wo er schneiden sollte, um das Spenderherz optimal zu entnehmen.
Wäre dies eine echte Explantation, würde Bibo seine Brille absetzen, das verpackte Herz nehmen und schnellstmöglich in die Uniklinik nach Düsseldorf fahren. Es gilt jetzt, das Herz wieder schnell mit Blut und damit Sauerstoff zu versorgen. Nach maximal vier Stunden müsste Bastian Dewitz es einem Menschen eingesetzt haben. Dieser Mensch dürfte ab dann sein zweites Leben beginnen – auch dank 5G-Technologie.
5G Medizincampus Düsseldorf
Das Universitätsklinikum Düsseldorf wird im Projekt „Giga for Health“ zum 5G-Medizincampus. Die Landesregierung fördert dies im Rahmen des Innovationswettbewerbs 5G.NRW. Lesen Sie hierzu auch unseren Artikel zu:
- dem 5G-basierten Schlaganfall-Netzwerk.
Das rund 400.000 Quadratmeter große Gelände erhält ein privates 5G-Netz (Campusnetz). Auf einem Gebäude wurde ein schon bestehender Funkmast vom Netzbetreiber Vodafone (Konsortialpartner des Förderprojekts) aufgerüstet. Innerhalb der Gebäude sind an 250 Positionen kleine Antennen installiert worden, die 4G und 5G senden. Patientinnen und Patienten, Besuchende und Beschäftigte profitieren zusätzlich, weil der Netzbetreiber mithilfe dieser Antennen auch das öffentliche Netz in den Gebäuden verstärkt.
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